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Gleiche Chancen für alle?

Wie die Herkunft immer noch unseren Bildungsweg prägt

Jessica N. aus Augsburg kann stolz auf sich sein: Parallel zu ihrer Werkstudententätigkeit in einer Personalberatung legt sie gerade das Thema für ihre Bachelor-Arbeit fest, und wenn alles nach Plan läuft, wird sie mit Ende des Sommersemesters 2020 ihren akademischen Abschluss als Wirtschaftsjuristin in der Tasche haben.

Dabei war ihr dieser Erfolg nicht in die Wiege gelegt worden, denn zunächst machte sie ihren (eher mäßigen) Realschulabschluss und danach eine Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel. Abitur und Studium musste sie sich anschließend hart erkämpfen und erarbeiten. Heute sagt sie: „Meine Eltern sind jetzt sehr stolz auf mich, aber ich habe immer noch den Eindruck, dass sie gar nicht richtig verstehen, wie viel ich in den letzten Jahren geleistet habe und warum ich das alles mache. Sie sind beide keine Akademiker, und für sie drifte ich wohl gerade in eine andere Welt ab…“

Orientierungsberater Andreas Peez aus München kennt Jessica B. und ähnliche Fälle, so genannte Bildungsaufsteiger, die für die Politik ein Beleg sind, dass in Deutschland Chancengleichheit besteht und dass es jeder schaffen kann, wenn er nur will. Andreas Peez sagt aber auch: „Jessica ist leider eher die Ausnahme als die Regel. Es stimmt nicht, dass alle mit den gleichen Aussichten ins Berufsleben starten.“

Und das belegen auch aktuelle Zahlen aus dem Datenreport 2019, dem Sozialbericht der Bundeszentrale für politische Bildung: So haben die Eltern von fast zwei Dritteln aller Gymnasiasten selbst das Abitur. Und bei nur 9% der Gymnasialschüler verfügen die Eltern über gar keinen oder einen Hauptschulabschluss. Umgekehrt kommen über die Hälfte der heutigen Mittelschüler aus Haushalten, in denen die Eltern keinen oder einen Hauptschulabschluss haben. Und diese Mittelschüler sind auch noch unglücklicher in der Schule als ihre Kollegen in den anderen Schulformen: 43% stimmen der Aussage zu, dass der Schulalltag ihnen in der Summe nur sehr wenig Freude bereitet – Realschüler und Gymnasiasten weisen hier einen deutlich niedrigeren Wert auf.

Woran liegt es also, dass Jessica B. den Weg zu einem höheren Bildungsabschluss geschafft hat, und andere nicht? Andreas Peez aus München meint hierzu: „Die Erfahrungen aus meiner Beratungspraxis deuten darauf hin, dass es jemanden geben muss, der das Potenzial des Schülers erkennt: ein Lehrer, die Eltern eines Schulfreundes, Verwandte oder natürlich auch die Eltern selbst. Auf jeden Fall ist es aber wichtig, dass die Eltern offen dafür sind, ihr Kind zu fördern. Das ist nicht immer der Fall, denn manche Eltern sind sehr stark durch eigene Probleme belastet, und manchmal erlebe ich sogar, dass es Eltern gibt, die die Entwicklung ihres Kindes aktiv bremsen, weil sie Angst vor einer Entfremdung haben oder sich durch einen potenziellen Bildungsaufstieg ihres Kindes selbst abgewertet fühlen.“

Auch ist der Informations- und Beratungsbedarf bei diesen Schülern oft erheblich umfangreicher, da sie und ihre Eltern nun eine neue Welt voller komplizierter Wege und Möglichkeiten, aber auch (scheinbarer) Hindernisse entdecken, in die Ordnung gebracht werden muss und wo ein Blick von außen auf die Situation sehr hilfreich ist. Denn bei allen tatsächlichen und vermeintlichen Hürden darf eine gute Nachricht nicht übersehen werden: Bildungsaufsteiger sind nicht der Regelfall, aber es werden immer mehr. Die Hochschulen werden von Jahr zu Jahr sichtbar bunter und diverser.

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